Wenn der Lohn zum Leben nicht reicht …

Gütersloh, 30.07.2018. Arbeiten und trotzdem Unterstützung vom Jobcenter bekommen? Das ist alles andere als ein Einzelfall. Und zwar nicht nur bei Menschen, die in Teilzeit arbeiten, sondern auch bei Vollzeitbeschäftigten. Wie viel jemand verdienen muss, um dem Jobcenter Adieu sagen zu können, hat Stefan Susat mal aufgedröselt. Der Abteilungsleiter Materielle Hilfen des Jobcenters des Kreises Gütersloh kennt auch die Gründe für diesen Umstand, den der Spiegel mal ‚Arm durch Arbeit‘ betitelt hat.

Stefan Susat, Abteilungsleiter materielle Hilfen
Stefan Susat, Abteilungsleiter materielle Hilfen, rechnet vor, wie viel man im Job verdienen muss, um nicht zu den so genannten 'Ergänzern' zu gehören. Jenen also, die trotz Job noch Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II haben. Foto: Kreis Gütersloh

Susat sieht die Sache nüchtern: Seine Abteilungsleiterkollegen kümmern sich mit ihren Teams darum, die Personen, die Hartz IV beziehen, wieder in Arbeit zu kriegen. Er und seine über 100 Mitarbeiter in der Abteilung sind dafür da, dass die Menschen leben können, ihren täglichen Bedarf decken und das Dach überm Kopf bezahlen können. "Und vom Mindestlohn von 8,84 Euro die Stunde kann in Deutschland wenn überhaupt nur ein Single leben." Sobald Partner und vor allem Kinder mit im Spiel sind, muss das Jobcenter aushelfen. 13.334 erwerbsfähige Personen (Stand Juni 2018) beziehen Leistungen vom Jobcenter - sie erhalten den Regelbedarf, früher Regelsatz, und die Warmmiete für ihre Wohnung samt Nebenkosten sowie im Einzelfall noch zusätzliche Leistungen. 3.412 der erwerbsfähigen Personen, die Leistungen beziehen - das ist ziemlich genau jeder Vierte -, haben einen Job. Aber einen, mit dem sie nicht über die Runden kommen. Das kann ein 450-Euro-Job sein oder eine Stelle, bei der jemand 2000 Euro mit nach Hause bringt, aber fünf Kinder hat.

Um zu prüfen, ob jemand trotz Job Anspruch auf ergänzende Leistungen des Jobcenters hat, stellt man den Nettolohn und die möglichen Leistungen, die der Gesetzgeber zubilligt gegenüber. Vom Nettolohn zieht man zuvor noch individuelle Freibeträge ab: "Darin enthalten sind Beträge für Versicherungen aber auch eine Pauschale für denjenigen, der arbeitet. Damit sich Arbeit lohnt. Diejenigen, die Arbeit haben, sollen mehr haben als die, die nur Hartz IV beziehen", erläutert Susat. Beispiel 1: Herr D. ist 30 Jahre alt, Single und lebt allein in einer Wohnung in Gütersloh. Er hat eine Vollzeitstelle und erhält den Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro/Stunde. Damit kommt er auf einen Nettolohn von 1.122 Euro, sein bereinigtes Einkommen liegt bei 822 Euro. Der errechnete Freibetrag beträgt bei ihm 300 Euro, der abgezogen wurde. Dem gegenüber stehen in der Rechnung die Sätze nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II): Er würde einen Regelbedarf von 416 Euro erhalten, seine als angemessene anzusehende Warmmiete würde bei maximal 401 Euro liegen. Macht zusammen 817 Euro, also niedriger als das bereinigte Einkommen von Herrn D.. Selbst ein Single, der Mindestlohn verdient und Vollzeit arbeitet, schrammt nur ganz knapp daran vorbei, zusätzlich noch Leistungen vom Jobcenter erhalten zu müssen. "Wir müssten ihm sagen, Du hast genug zum Leben. So bald aber zum Beispiel eine Nachzahlung der Mietnebenkosten bei ihm anstehen würde, könnte das schon wieder anders aussehen."

Beispiel 2: Herr und Frau B. leben mit drei Kindern (1, 10 und 14 Jahre alt) in Gütersloh. Herr B. erhält Mindestlohn und sein Nettolohn liegt bei 1.216 Euro, sie ist geringfügig beschäftigt auf 450-Euro-Basis. "Hier übersteigen allein schon die Regelbedarfe in der gesamthöhe von 1.636 für alle fünf Personen den Nettolohn des Hauptverdieners", verdeutlich Susat. Das bereinigte Einkommen der beiden liegt bei 1.784 Euro, der Anspruch nach dem SBG II summiert sich auf 2.386 Euro. Erhellend auch die Gegenrechnung: Was müsste Herr B. verdienen, damit er keinen Anspruch auf die so genannten Grundleistungen mehr hat? 13,85 Euro/Stunde. Woran liegt es, dass trotz zwei Jobs Familie B. den Gang zum Jobcenter antreten muss? Susat, der zusammen mit Thomas Wellhäuser (Abteilungsleiter Arbeit) diese Rechnungen auch der Politik vorstellte, bleibt sachlich nüchtern. "Entweder ist der Lohn zu gering oder die Hartz 4-Leistungen sind  zu hoch. Die Frage kann jeder für sich beantworten. Fakt ist, dass das Lohnabstandsgebot nicht wirklich funktioniert, wie man im Fall der Familie B. ganz deutlich sieht." Das Lohnabstandsgebot bezeichnet den Abstand zwischen Nettolöhnen und Sozialleistungen und dahinter steht der Grundsatz, dass sich Arbeit lohnen soll.

Der Klassiker unter den so genannten 'Ergänzern', also denjenigen, die einen Job haben, aber auch auf Unterstützung des Jobcenters angewiesen sind, sind die Alleinerziehenden. Susat bezeichnet sie als "eine der großen Baustellen im Jobcenter", weil es die unterschiedlichsten Programme und Ideen gibt, sie zu unterstützen. Und das ist zwingend notwendig. Susat: "Trennung ist zusammen mit Migrationshintergrund das größte Armutsrisiko in Deutschland."  Frau C. ist alleinziehend und lebt mit einem Kind (2 Jahre) in Gütersloh. Sie kann aufgrund von Kinderbetreuung nicht mehr als 20 Stunden in der Woche arbeiten. Auch sie erhält Mindestlohn und kommt auf einen Nettolohn von 608 Euro, ihr bereinigtes Einkommen liegt bei knapp 570 Euro, Kindergeld ist schon berücksichtigt. Ihr Gesamtbedarf nach SGB II liegt jedoch bei mehr als dem doppelten, rund 1.270 Euro. Und sie müsste bei einer Halbtagsstelle 21,93 Euro/Stunde verdienen, um aus dem Anspruch komplett rauszufallen. Mit Stand Juni 2018 erhalten im Kreis Gütersloh 1.824 Alleinerziehende Geld vom Jobcenter - in der Regel sind es Frauen.