Von der „Irrenanstalt“ zum betreuten Wohnen – Leben in der Psychiatrie

1816 wurde die erste „Provinzial-Irrenanstalt“ Westfalens in Marsberg eröffnet. Einerseits boten diese und die folgenden Anstalten geistig erkrankten Menschen, die zuvor in Dörfern und Familien oft ausgestoßen oder schamhaft versteckt wurden, erstmals Hilfe und Fürsorge. Dennoch war das Leben in der Anstaltspsychiatrie hart: Diagnosen und Therapieangebote waren noch unzureichend. Die Unterbringung in großen Schlafsälen bot keinerlei Privatsphäre.

Bis zur Einweihung der Gütersloher Provinzialheilanstalt 1919 waren psychisch Erkrankte aus dem heutigen Kreisgebiet in Bad Oeynhausen, Eickelborn (heute Lippstadt) oder Lengerich untergebracht – fernab von Freunden und Familie. Die Unterbringung in Gütersloh ermöglichte wenigstens Besuche oder kurze „Urlaube“ in der Heimat. Dennoch verbrachten die Menschen einen Großteil ihrer Zeit in der Parallelwelt der Anstalt, manche oft über Jahrzehnte!  Im Nationalsozialismus wurde diese Parallelwelt zur tödlichen Falle für jüdische Menschen oder solche mit schweren, angeblich „unheilbaren“ Erkrankungen, die ab 1940 auch aus Gütersloh in Tötungsanstalten verlegt und dort ermordet wurden.

Luftbild der Gütersloher Provinzialheilanstalt 1938


Durch die  umfassenden Betreuungsangebote in den Anstalten – mit eigenen Arbeits- und Einkaufsmöglichkeiten, Sportangeboten etc. – und die Verkleinerung und Spezialisierung der Stationen wurde das Wohnen in der Psychiatrie ab den 1960er Jahren vielfach angenehmer. Gleichzeitig wurde Kritik lauter, dass diese „Stadt in der Stadt“ eine Anpassung an das Leben außerhalb der Anstalten erschwere. Seit den 1970er Jahren sollen Patientinnen und Patienten möglichst am eigenen Wohnort durch ambulante Angebote oder Wohngruppen versorgt werden. Das heutige LWL-Klinikum Gütersloh stellte hier mit dem Abbau von über 700 stationären Plätzen in den 1980er Jahren einen Vorreiter da. Rund um die Angebote des LWL entstanden zahlreiche Vereine und Selbsthilfegruppen, die  diese Umstellung erst ermöglichten.



Bestände im Kreisarchiv                                                                                                                                                                                                                                                                 Unterstützungsakten der Landratsämter (Bei Empfängern von Fürsorgeleistungen wurden diese als Zuschuss an die jeweilige Klinik abgeführt)                                           Zahlreiche Einzefallakten der Wohlfahrtsämter und der Kreisärzte 1855-1969                                                                                                                                                              Druckschriften und Pressespiegel zur Psychiatriereform und (Selbst-) Hilfevereinen


Bestände im Stadtarchiv                                                                                                                                                                                                                                                           Druckschriften und Pressespiegel zur Psychiatriereform und (Selbst-) Hilfevereinen                                                                                                                                                      Nachlass des Club 5, dem ersten Treffpunkt einer Selbsthilfegruppe in der Gütersloher Innenstadt (noch weitgehend unsortiert)